Schnell den Schalter umgelegt
Syrerin Iman Alahmad schafft nach drei Jahren in Deutschland qualifizierten Realschulabschluss!
Doppelt Grund zu feiern hat es zum Schuljahresende für Iman Alahmad gegeben: Die aus Syrien stammende Meppenerin erhielt das Zeugnis über den qualifizierten Realschulabschluss – und gleichzeitig den Kiwanis-Hauptschulpreis. Dabei sprach sie vor weniger als dreieinhalb Jahren noch kein Wort Deutsch.
Sie zeigte soziales Engagement, fungierte als Dolmetscherin für neue Mitschüler, die ebenfalls einen Fluchthintergrund haben, ist künstlerisch talentiert und trumpfte nicht zuletzt mit guten schulischen Leistungen auf: Das reichliche Lob, mit dem die Kardinal-von-Galen-Schule (KvG) ihren Antrag begründet hatte, Iman Alahmad den Kiwanis-Hauptschulpreis zu verleihen, überzeugte die Jury des Service-Clubs. Neben dem Abschlusszeugnis, das sie bei der Verabschiedung als Klassenbeste entgegennahm, gab es für die 17-Jährige somit auch die mit 500 Euro dotierte Auszeichnung.
Als ihre Lehrer dies einige Tage später noch einmal resümieren, reagiert sie mit bescheidenem Lächeln – und scheint selbst ein bisschen zu staunen. Denn all das war nicht absehbar, als die junge Syrerin im Februar 2016 erstmals die Oberschule in der Meppener Neustadt betrat. Wenige Wochen zuvor war sie 14 geworden; sie und ihre Familie waren damals noch in den BBS-Turnhallen untergebracht, gemeinsam mit vielen anderen. Es war die Zeit, als die Flüchtlingslage einen Höhepunkt erreichte.
Aufgrund ihres Alters wurde Iman in die achte Klasse der Realschule eingeschult. Im regulären Unterricht verstand sie kein Wort, und auch in der Sprachlernklasse waren die ersten Deutsch-Gehversuche kompliziert. „Ich habe versucht, mich auf die Sprache zu konzentrieren, aber anfangs zu Hause kein Buch geöffnet. Zu der Zeit wäre ich am liebsten nach Syrien zurückgekehrt.“
Iman Alahmad wuchs in Raqqa auf, einer Großstadt am Euphrat im Norden Syriens. Sie ist das vierte von sechs Kindern; ihr Vater war dort selbstständiger Ge-schäftsmann. „Wir waren weder reich noch arm, hatten ein schönes Leben“, erzählt Iman. Sieben Jahre ging sie in ihrer Heimat zur Schule, aber im letzten Jahr, als der Bürgerkrieg die Stadt er-reichte, gab es praktisch keinen Unterricht mehr.
Nachdem Raqqa von den Terrororganisationen IS und Al-Nusra-Front eingenommen worden war, floh Familie Alahmad 2014 aus dem Land. Mit Vater, Mutter und den fünf Geschwistern kam Iman auf einer Olivenfarm in der Türkei unter. Mehr als eineinhalb Jahre verbrachten sie dort. „Viel Arbeit, wenig Essen – als große Familie kann man da nicht leben“, sagt Iman. Dauerhafte Perspektiven fehlten, an Schulbildung war nicht zu denken, allein etwas Türkisch eignete sie sich allmählich an.
Bald zog die Alahmads weiter und nahm den Weg, den zu jener Zeit Zigtausend andere Flüchtende nahmen: durch die Türkei zur Küste, dann die riskante Überfahrt im Boot übers Ägäische Meer nach Griechenland, später entlang der damals noch offenen Balkanroute. Dann die Ankunft in Deutschland, das Aufnahmelager Bramsche, die BBS-Hallen. Und der schwierige Beginn der Schulzeit an der KvG.„Das war echt toll“
„Sie hat nach anfänglichem Frust den Schalter schnell umgelegt“, sagt Konrektor Frank Döbber heute. Maßgeblichen Anteil daran hatte vor allem Imans guter Draht zu Anne Maas als Lehrerin der Sprachlernklasse: „Das war echt toll“, meint die Jugendliche. „Ich bin immer gerne zur Schule gegangen.“
Je besser ihr Deutsch wurde, umso mehr konnte Iman Mitschülern aus der Sprachlernklasse helfen. Ebenso wurde ihr weiterer Boden bereitet, um im Emsland Wurzeln schlagen zu können: Die Familie konnte inzwischen aus der Turnhalle in ein Domizil für sich in Hemsen umziehen.
Weil Schüler mit Migrationsstatus erst nach zwei Jahren benotet werden müssen, rückte die Syrerin in Klasse neun auf, wo sie zwischenzeitlich am Projekt „Schulen für Demokratie“ teilnahm. Zudem hospitierte sie am Windthorst-Gymnasium, verzichtete jedoch auf einen Wechsel dorthin.
Da ihre allgemeine Schulpflicht erfüllt war, musste Iman im Sommer 2017 die Oberschule ohne Abschluss verlassen. Nach den Ferien machte sie in der Berufseinstiegsklasse der BBS Meppen weiter, wo sie regelrecht durchstartete und mit Einsen und Zweien den Hauptschulabschluss er-reichte. Die Landesschulbehörde gab dann ihr Okay für Imans Rückkehr zur KvG.
„Diese Laufbahn ist was Besonderes“, sagt Melanie Eßer, die es wissen muss. Sie leitet die Kardinal-von-Galen-Schule, die in den vergangenen Jahren eine Menge Kinder und Jugendliche aus Familien von Geflüchteten aufgenommen hat. „Von etwa 400 Schülern haben circa zehn Prozent einen Migrationshintergrund“, beziffert Konrektor Döbber. „Ein Wechsel von der BBS zurück zu uns ist nicht üblich, erst recht nicht nach so kurzer Zeit“, so Eßer.
Mit dem erweiterten Realschulabschluss in der Tasche ergeben sich für Iman neue Perspektiven. Ursprünglich hatte sie vor, nach dem Hauptschulabschluss eine Lehre zu beginnen, „zur Floristin oder Friseurin“. Jetzt sattelt sie um und zieht nach Lingen, wo sie ab August die Fachoberschule Gestaltung und Technik besucht. „Danach möchte ich studieren. Entweder Innenarchitektur oder Architektur.“ Eine Verwendung für das Kiwanis-Preisgeld hat sie auch schon: Es soll in die Finanzierung ihres Führerscheins fließen.